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Das Ende der Ideologien, das Ende der mit ihnen verbundenen Träume, sozialistischen wie kapitalistischen, das Ende der allzu optimistischen Utopien, die mit Wissenschaft und Technik in der Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts verbunden waren, wirft die Menschen in ungeahntem Maße auf sich selbst zurück. Nichts und niemand, so ahnen sie, wird jemals die perfekte Welt schaffen, in der das Leben unproblematisch ist; Ideologien und Utopien haben eher neue Probleme herbeigeführt, mit denen viele nicht mehr zu leben verstehen. Und selbst wenn es dereinst gelänge, eine »ideale« Gesellschaft zu schaffen – woher der naive Glaube, der Lebensvollzug verstünde sich dann quasi von selbst?

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Das Bemühen um eine Neubegründung der Lebenskunst ist der Versuch zu einer Antwort darauf. Wichtig sind jedoch die Vorzeichen dafür: nicht normativ vorzugehen, Normen und allgemeine Verbindlichkeiten schaffend, sondern optativ, Optionen und Möglichkeiten eröffnend.

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»Wozu also lebst du, wenn du dich nicht darum sorgst, schön zu leben?« Sich um ein schönes Leben zu sorgen: damit ist gemeint, das Leben nicht einfach nur dahinzuleben, dem Gesetz der Trägheit folgend, sondern in die Existenz einzugreifen und sie bewusst zum Gegenstand einer Ausarbeitung zu machen. In der Tradition des Humanismus spielte diese Idee des schönen Lebens eine tragende Rolle. Gedacht ist die philosophisch reflektierte Lebenskunst vor diesem Hintergrund nicht als eine Schönwetter-Lebenskunst, die ein Luxusgut für diejenigen sein könnte, die sonst schon alles haben. Vielmehr als eine existenzielle Lebenskunst, für die jegliche Ethik mit der Haltung und dem Verhalten des Individuums selbst beginnt, um am eigenen Leben und, gemeinsam mit Anderen, am gesellschaftlichen Zusammenleben zu arbeiten.

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Der Faden ist gerissen, der dem Leben Sinn verliehen hatte, und es erscheint höchst ungewiss, ob es ein Leben danach wird noch geben können. Neben der unmittelbaren Erfahrung der Sinnlichkeit und dem Traum von der Vereinigung ist dies eben die komplementäre Erfahrung der Liebe, ihr immer wiederkehrendesVerhängnis: Sofern die unendliche Seligkeit erfahren worden ist, wird der Sturz zurück in die Sterblichkeit nur umso fühlbarer, denn es ist der Sturz aus der Ewigkeit zurück in die Zeit. Und selbst wenn die Seligkeit nur vor Augen gestanden hat, sind die Folgen nicht minder schmerzlich: Aus der Ewigkeit verbannt zu bleiben, dem Gesetz der Zeit auch nicht für einen Augenblick entfliehen zu können.

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Das Individuum findet sich zurückgeworfen auf sich selbst, zwischen den Ruinen der Repräsentation, in den Trümmern der Welt seiner Vorstellungen, in denen das Einssein mit dem Anderen so große Bedeutung hatte. Wer aber einen schönen Traum geträumt hat, mag in der Realität nicht mehr leben.

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Das Bemühen um eine Harmonie, die den Einzelnen gleichsam auf zarten Händen durchs Leben tragen würde, ist vergebens. Stattdessen ist jeder zurückverwiesen auf sich selbst, während er sich im Anderen zu vergessen hoffte. Bei wem soll ich leben, wenn nicht bei mir selbst? In einer tragischen Kultur gibt es ein Bewusstsein von der Unmöglichkeit des Einsseins. Die moderne Kultur aber hat dieses Bewusstsein auszulöschen versucht. Nun irren die Individuen orientierungslos durch den Raum: So erklärt sich ihre Einsamkeit, diese zentrale Erfahrung der modernen Gesellschaft.

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Die Komik liegt darin, dass die Individuen gewöhnlich erst in dem Augenblick ihre Existenz von Außen sehen, in dem sie abtreten von der Bühne des Lebens.

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Sondern weil in dieser traditionslosen amerikanischen Kultur die Probleme der Moderne – die Verschränkung der Hoffnung auf das Glück mit dem Versuch zu dessen technischer Realisierung, die Verwechslung des guten Lebens mit der Hohlheit des Wohlstands – deutlicher sichtbar werden mussten als anderswo.

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In der Moderne leben die Individuen weiterhin nur für sich selbst und träumen zugleich vom Einssein mit Anderen, mit einem geringeren Anspruch will sich keiner zufrieden geben. Also leben die Menschen enttäuscht, allein mit ihrem Glück, das keines ist, unfähig zum Leben mit Anderen, das immerzu scheitert, da es dem Kriterium des Einsseins nicht genügt. Ein eigenes Verständnis dessen, was es heißt zu leben, das Leben zu führen und sich aufs Leben zu verstehen, haben sie nie gewonnen.

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Wenn sie hofften, das Leben in den gesicherten Räumen ihres Eigentums zu genießen, so machen sie nun die Erfahrung der zynischen Ironie dieser Ideologie: Dass sie im selben Maße, wie sie äußeren Besitz gewinnen, den Besitz ihrer selbst verlieren. Ein Lebenkönnen vermittelt die simple Bewegung ins Licht noch nicht, denn es besteht in einer Anstrengung, deren Mühen diese Individuen längst als lästig abgelegt haben. Sie repräsentieren das leere Leben, das Leben ohne Sorge, ohne Tod, und es erweist sich als nichtig.

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Mitten in der Kultur der Moderne, der Kultur der rasenden Zeit, breitet sich der Raum aus, der leer ist – der Raum ohne Zeit. Hopper malt Räume, in denen unentwegt gewartet wird, Warten auf das Leben, Warten auf die Zeit, die das Leben bringt, und die niemals kommt, weil sie im leeren Raum verschwunden ist.

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Das Signum der Moderne ist die fehlende Lebenskunst, denn dazu hat es ihr zu sehr an Muße gefehlt. Aber nicht Larmoyanz ist hier am Platz, sondern die Arbeit an einer Philosophie der Lebenskunst – für eine Kultur, die nicht etwa die der »Postmoderne«, sondern die einer anderen Moderne wäre.

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Diese Philosophie wird die Aufgabe haben, den romantischen Impuls der Moderne – die Suche nach der Intensität der Existenz – zusammenzuspannen mit der pragmatischen Fragestellung, wie der Existenz Form verliehen werden kann, um die Intensität, wenn sie erfahren wird, lebbar zu machen – und nicht ins Nichts abzustürzen, wenn die Intensität ausbleibt oder nicht andauert. Der romantische Impuls ist existenziell, um die immer neue Frage nach dem wahren Leben zum kritischen Korrektiv gegenüber dem wirklich gelebten Leben zu machen. Die pragmatische Orientierung ist unverzichtbar, um nicht bei der Frage nach dem wahren Leben stehen zu bleiben und von der bloßen Fragestellung schon alles zu erwarten.

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Warum gestalten? Aufgrund der Kürze des Lebens. Das ist das finale Argument – »final«, weil es zuletzt übrig bleibt, wenn alle anderen schon durchgespielt sind; »final«, weil es sich auf »das Ende« bezieht. Es gewinnt besondere Durchschlagskraft in Kulturen, in denen das einzelne Individuum nicht mehr im Schoß einer Gemeinschaft und in der traditionellen, endlosen Generationenfolge aufgehoben ist, sondern die ganze Macht des Todes zu spüren bekommt. Tod bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Leben überhaupt, sondern dass es in dieser Form zu Ende ist. Der Tod ist eine Grenze, aber er existiert nicht »an sich« – er ist abhängig von der Vorstellung, die man sich von ihm macht, diese wiederum ist abhängig von der Kultur, in der man lebt. Nur der moderne Mensch stirbt in entsetzlicher Einsamkeit, nur für ihn ist der Tod die absolute Grenze des Lebens, nur für ihn markiert der eigene Tod die »Eigentlichkeit«. Die Philosophie der Lebenskunst folgt aber im Hinblick auf den Tod eher der antiken stoischen Philosophie, nicht ihrer modernen Abwandlung bei Heidegger: Es geht ihr um ein Bewusstsein von der Begrenztheit des Lebens, nicht um ein »Sein zum Tode«.

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Was wir dem Tod verdanken, ist demnach die Begrenzung des Lebens. Würde es diese Grenze nicht geben, wäre die Gestaltung des Lebens gleichgültig.

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Der Tod als Grenze des Lebens fordert sie auf zu leben und auf erfüllte Weise zu leben. Dazu bedarf es keiner Fixierung auf den Tod, sondern nur eines Bewusstseins der Grenze. Die Grenze des Lebens ist zugleich die Bedingung seiner Möglichkeit: Man macht das Leben zunichte, wenn man es ewig haben will, so wie man eine Lust zunichte macht, wenn man sie immer genießen will. Alle Lust will Ewigkeit, aber die Ewigkeit ist ihr Tod, das gilt auch für das Leben. Selbst wenn die Unsterblichkeit möglich sein wird, wird sie wohl kaum wünschenswert sein – sie kann nur die Stillstellung des Lebens bedeuten. Denn wozu jetzt das Leben leben, wenn man dies auch in ferner Zukunft noch tun kann? Wozu überhaupt etwas tun? Gäbe es den Tod nicht, müsste man ihn erfinden, um nicht ein unsterblich langweiliges Leben zu führen, das darin besteht, das Leben endlos aufzuschieben.

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Daher die Affirmation der Begrenzung: Um das Leben nicht einfach nur dahingehen zu lassen, sondern es wirklich zu leben, solange es währt. Zugespitzt gesagt: Es ist die Grenze des Todes, der die Freude am Leben zu verdanken ist.

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Philosophieren heißt, im Bewusstsein dieser Grenze leben zu lernen.

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Wenn die Gestaltung also ernst genommen wird, erhebt sich für das Subjekt der Lebenskunst die grundsätzliche Frage: Wie kann ich mein Leben führen? Das ist die Form, die die Grundfrage der Ethik (»Was soll ich tun?«) in der Lebenskunst annimmt.

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die strukturelle Frage: In welchen Zusammenhängen lebe ich? Wie lassen sich Zusammenhänge herstellen, in denen es sich leben lässt?

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optionale Frage: Welche Wahl habe ich?

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Auseinanderzulegen wären

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die Bestandteile einer klugen Wahl: Die Sensibilität, das Gespür, die Urteilskraft, die Klugheit. Im Hintergrund

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Subjekt-Frage: Wer bin ich?

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Die Idee der Selbstgestaltung lässt sich als konstitutives Element philosophischer Subjektkonzepte erweisen; sie geht mit der Idee des Selbstbewusstseins einher, die im Zentrum all dieser Konzepte zu finden ist. Das Subjekt muss aber, entgegen einer modernen Überzeugung, nicht nach Maßstäben der Identität verfasst sein, und es muss, entgegen einer postmodernen Überzeugung, nicht gänzlich der Auflösung anheim fallen, sondern kann sich selbst auf andere Weise organisieren. Seine Selbstorganisation und Selbstgestaltung ist Sache der Selbstsorge.

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Subjekt von Anderen mitgestaltet wird und nicht nur mithilfe der Selbstsorge etwas aus sich macht; dass zu seiner Selbstgestaltung daher auch die Gestaltung der Beziehungen zu Anderen gehört, und zu seiner Selbstsorge ebenso die Sorge um Andere. In der Erweiterung wird die Sorge um Andere zur Sorge um die Gesellschaft und deren innere Verfasstheit.

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hermeneutische Frage: Welches Verständnis vom Leben habe ich?

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Interpretationen, das eigene Leben und die Lebenswelt betreffend, ermöglichen dem Subjekt der Lebenskunst die Führung des Lebens. Durch die Arbeit der Interpretation wird geklärt, was für das Selbst Bedeutung hat, was nicht, was als wichtig und unwichtig erscheint und auf welche Weise der Vollzug des Lebens daran jeweils zu orientieren ist.

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Die abschließende Frage ist die praktische Frage: Was kann ich konkret tun?

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Das Subjekt der Lebenskunst bedarf der Übungen, die zu vollziehen, und der Techniken, die anzuwenden sind, um Selbstmächtigkeit zu gewinnen und sich und sein Leben zu gestalten. Die Philosophie der Lebenskunst umfasst daher eine Asketik, und zwar im antiken Sinne des Begriffs, der gegenüber seiner christlichen Umbesetzung wieder zu aktualisieren ist: In der antiken Philosophie der Lebenskunst war damit die Übung gemeint, mit deren Hilfe das Selbst sich und das eigene Leben formt und transformiert, und die leiblich, seelisch oder geistig zu vollziehen ist.

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Eine Technik der nachhaltigen Einübung und bewussten Ausübung von Lebenskunst ist die Gewohnheit. Sie wird durch eine regelmäßige Übung hergestellt und ist selbst geradezu der Inbegriff der Regelmäßigkeit, mit deren Hilfe überhaupt erst Haltungen geschaffen und Verhaltensweisen angeeignet werden.

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Es ist der Hammer der unablässigen Repetition, mit der die Form geschmiedet wird, die die Gewohnheit ist. Diese Arbeit gehört bereits zu der Art von Lebenskunst, wie sie Kindern eigen ist, lange bevor sie reflektiert wird: Kinder erzeugen Gewohnheit vorzugsweise durch Nachahmung und endlose Wiederholung; so eignen sie sich Formen an und machen sie zu ihrem Eigentum.

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Gewohnheit eine Entlastung von der Wahl mit sich

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Aber auch bei jedem Wechsel einer Wohnung, bei jedem Verlust eines persönlichen Umgangs, bei jeder Auflösung einer Beziehung ist das eigentliche Problem die Entwöhnung von Gewohnheiten. Die Arbeit der Sorge konzentriert sich daher darauf, ein Netz von Gewohnheiten zu knüpfen, um in Räumen und Beziehungen wohnen und Lebenskunst pflegen zu können.

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In Gewohnheiten wohnt das Subjekt in jedem Fall, aber deren andere, für die reflektierte Lebenskunst relevante Form sind autonome Gewohnheiten, die der Selbstgesetzgebung unterliegen.

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In Gewohnheiten verfestigen sich die regelmäßigen, keineswegs widerspruchsfreien Zusammenhänge, die die Kohärenz des Subjekts ausmachen; die Gesamtheit der Kohärenz kann tatsächlich von einigen wenigen, offenkundig unverzichtbaren Gewohnheiten aus erschlossen werden. Im Kern der Kohärenz sind existenzielle Gewohnheiten zu finden, die in ihrer kristallisierten Form ein Anderssein kaum denkbar erscheinen lassen; sie verdanken sich der autonomen individuellen Wahl, oder aber der heteronomen Strukturierung durch eine äußere Macht, die verinnerlicht worden ist. In diesen Kernbereich bewusst einzugreifen und die Strukturen der Gewohnheit zu modifizieren, erfordert nachhaltige Anstrengung und langwierige Askese – aus guten Gründen, denn wenn der Kern der Kohärenz beliebig veränderbar wäre, würde jede Haltung des Selbst unterminiert werden. Das Anliegen der reflektierten Lebenskunst ist daher zwangsläufig, Gewohnheiten nicht nur zu wählen und zu verändern, sondern sie bewusst auch bestehen und gewähren zu lassen.

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beruht die Macht der Gewohnheit auf dem Trägheitsprinzip.

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Flexibilität

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»kurze Gewohnheiten«,

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Spontaneität

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Sensibilität des Selbst trägt

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Ritual

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In der Struktur des Rituals finden die verschiedensten Einzelelemente ihren Platz, und die gleichförmige Zusammensetzung und gewohnheitsmäßige Abfolge der Einzelbestandteile erleichtert die praktische Umsetzung des Rituals

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Die regelmäßige Wiederholung der im Ritual gebündelten Verhaltensweisen begründet Kontinuität und stellt der davoneilenden und vergehenden Zeit ein retardierendes, zyklisches Moment entgegen – Charakteristikum einer andersmodernen Raumzeitkultur.

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Die Kultur der Zeit kann nicht mit dem messerscharfen Schnitt in der Zeit leben, den der Tod darstellt, denn er zerstört jede fortschreitende Bewegung und Veränderung und vernichtet die so selbstgewisse, zielgerichtete Zeit;

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Die Kultur, die an die Zeit glaubt, beginnt am Tod zu leiden wie keine andere; ihn zu besiegen wird, angelehnt an ein christliches Motiv, zu einer ernsthaften Aufgabe, aber der einzig denkbare Sieg, nämlich die Aufhebung des Glaubens an die vergehende Zeit, wäre zugleich der Tod dieser Kultur selbst.

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Unter dem Aspekt der Lebenskunst ist jedoch nicht allein der Tod als Lebensform von Interesse, sondern der Tod als Grenze, der dem gesamten Leben erst Form und Bedeutung gibt. Daraus, dass diese Grenze in jedem Fall gezogen wird, in welcher Form und wann auch immer, bezieht das Subjekt der Lebenskunst – wie dies schon beschrieben worden ist – die entscheidende Motivation zur Gestaltung des Lebens. Leben mit dem Tod heißt dann, sich klar zu sein darüber, dass dieses Leben begrenzt ist, was immer über diese Grenze hinaus sein wird, und dass der Tod gerade hierin, Grenze zu sein, seinen Sinn hat, und zwar so sehr, dass das Selbst die Grenze, würde sie zum Verschwinden gebracht, wohl selbst zu ziehen hätte.

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Wenn eine althergebrachte Übung der Lebenskunst das Denken an den Tod ist, dann dient deren Erneuerung dazu, sich den Tod als Grenze bewusst zu machen und das Leben im Hinblick darauf immer wieder neu zu orientieren.

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Vor allem in der Stoa wurde dieses Ziel systematisch verfolgt: »Übe dich täglich darin, mit Gleichmut das Leben verlassen zu können«, heißt es in Senecas Briefen an Lucilius.

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Den Tod als Grenze zu akzeptieren, sich vertraut zu machen mit ihm, bedeutet vor allem, frei zu werden für das Leben und es auf diejenige Weise zu leben, die den Tod leicht machen kann.

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Übung,

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veritablen Erfahrung wird, und die mit dem Sterbenwissen in unvergleichlicher Weise das Lebenwissen befördert: Das Mitsterben mit Anderen ist mehr als nur deren »Begleitung«, denn es ist die Erfahrung

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Das Selbst stirbt mit dem Anderen, und es stirbt selbst; ununterscheidbar verschmelzen die beiden Tode miteinander, und was die Tränen betrifft, die geweint werden, so ist nicht klar, worüber sie vergossen werden: Über den Tod des Anderen oder über den eigenen Tod, der nun unabweisbar nahe ist. Den Tod des Anderen als den eigenen zu erleben: Es gibt keine nachhaltigere Einübung in den Tod.

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In zweifacher Hinsicht kommt die äußerste Sorge, die dem Leben mit dem Tod gilt, dabei zum Ausdruck: In der Sorge für den Anderen in der Stunde seiner größten Not (der unabweisbaren Notwendigkeit), und in der Sorge des Selbst um sich, da ihm selbst dereinst diese Stunde bevorsteht.

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Eines Tages werde ich mich selbst zur letzten Ruhe legen. Vielleicht werde ich zuvor schon wissen, dass mein Ende gekommen ist, und in die Trauer, Abschied nehmen zu müssen für immer, wird sich die Erleichterung darüber mischen, dass nun alles getan ist. Ich werde müde sein dürfen und endlich schlafen können, »selig und süß«. Das Leben wird nur noch von ferne wahrnehmbar sein, die Erfahrungen und Ereignisse werden sich aufreihen am Horizont, während die geliebten Gesichter noch nahe sind. Alles, was schön gewesen war, all die unerfüllten Sehnsüchte, alles, was nicht auszuhalten war, all meine Vergehen: Bald schon, schon mit der ersten Schaufel Humus auf meinem Grab, wird alles zugedeckt sein; besiegelt werden meine Schmerzen, meine Freuden sein, mein Sprechen und mein Schweigen. Dann wird ein neues Leben beginnen.